Interview mit Lydia Maria Bader

Die deutsche Pianistin Lydia Maria Bader hat im Juni 2020 ihre CD Chinese Dreams herausgebracht. Ein spannendes Konzept, per Crowdfunding realisiert. MUSEDU hat mit der Künstlerin gesprochen, die von der chinesischen Presse als „German Piano Princess“ gefeiert wird.

Seit über 10 Jahren bist du regelmäßig auf Konzertreisen in China – und seit 2016 Kulturbotschafterin der Provinz Gansu. Wie wird man Kulturbotschafterin?

Die Chinesen vergeben gern Titel und schöne rote Urkunden. Sie haben sich unglaublich gefreut, dass ich in diese abgelegene Gegend gekommen bin. Dort kommen normalerweise keine großen Künstler hin. Ich habe mehrere Konzerte gespielt und das war ein Aushängeschild für die Region. Es gab einen Wettbewerb für Kinder, wer in meiner Konzertpause spielen durfte. Das Konzept des Klavierabends ist außerhalb der großen Städte nicht so bekannt. Pausen waren vor bis vor einigen Jahren nicht üblich, es gibt keine Pausenbewirtung. Wenn man eine Pause macht, gehen die Zuhörer nach Hause. Ich habe schon bei meiner ersten Tour 2009 gesagt, ich brauche unbedingt eine Pause – im chinesischen Süden bei 40 Grad. Dann war das Problem: wie füllt man diese Pause? So haben die lokalen Kinder gespielt und ich habe noch einen kleinen Meisterkurs gegeben. So wird das oft ein Riesen-Event, und als Geste der Wertschätzung habe ich diesen Titel verliehen bekommen.

Das Besondere an deiner CD Chinese Dreams ist der Brückenschlag zwischen den Kulturen. Du hast nicht nur chinesische Musik aufgenommen, sondern auch Stücke von westlichen Komponisten, die von China beeinflusst wurden. Was steckt hinter diesem Konzept?

Ich bin so fasziniert von dem Land. Man läuft abends über einen Markt, und da sind so viele Sinneseindrücke, Klänge und Gerüche. Nach einer eindrucksvollen Tour 2017 wollte ich diese Stimmung teilen. Auch wenn ich dort immer viele Fotos und Videos mache, ist mein Medium natürlich die Musik. So kam die mir die Idee, dazu ein Konzertprogramm zu machen. Die Alben mit chinesischer Musik, die es gibt, wurden von chinesischen Pianisten aufgenommen. Ich als Deutsche kann das nicht so machen. Also habe ich recherchiert und bin auf die Alt-China Suite von Walter Niemann gekommen. Dort steht im Vorwort: „Glaube mir, wenn ich, ein Deutscher, mich einmal mit dir nach China träume.“ Ich dachte: genau das ist es. Ich nehme dich an die Hand und wir träumen uns gemeinsam nach China. Auch von den anderen westlichen Komponisten auf meiner CD war niemand dort. Ihre Vorstellung trifft auf das tatsächliche China.

Wie nah kommt diese musikalische Vorstellung dem tatsächlichen China?

Die Stimmungen sind schön eingefangen. Das Stück „Rush Hour in Hong Kong“ von Abram Chasins ist auf den Punkt getroffen. Man muss aber sagen, dass die chinesische Kunstmusik auch schon nicht mehr das „Original“ ist, sondern die Komponisten bereits selbst stark von westlicher Musik beeinflusst wurden. Ende des 19. Jahrhunderts hatte die klassische Musik unter chinesischen Berufsmusikern einen hohen Stellenwert. Es gab Konservatorien und die bekannten Lehrer waren Chinesen, die im Ausland studiert hatten oder westliche Ausländer. Shanghai war ein Zentrum für Migranten – es gab viele Russen, die vor der russischen Revolution geflüchtet waren. Der Standard war hoch, die Kunstmusik war in China angekommen, aber nur in einer bestimmten Schicht. Um volksnäher zu werden, wurden die Komponisten angehalten, chinesische Elemente einzubauen.

Und dann kam in den Sechzigerjahren die Kulturrevolution…

Ja, in der strengen Phase der Kulturrevolution wurde das Klavier als westliches Instrument verboten. Es wurde unter der Auflage wieder zugelassen, dass nur Stücke komponiert werden dürfen, die sich auf die nationale musikalische Identität beziehen. In der Zeit wurde von Madame Mao das Yellow River Concerto in Auftrag gegeben. Es hat gedauert, bis die Komponisten wieder frei komponieren durften. Sie sind weit gereist, um im ganzen Land Volkslieder zu sammeln. Es gibt ein relativ begrenztes nationales Liedgut. Ich sehe immer wieder Stücke, die sich auf die gleichen Melodien beziehen.

Wie empfindest du in China die Konzertatmosphäre?

Es kommt sehr darauf an, wo man spielt. Bei meinem ersten Konzert saßen sie mit Leuchtstäben im Publikum. Es war eine unglaubliche Geräuschkulisse, die auch nicht leiser wurde, als ich anfing, zu spielen. Ich war die erste Europäerin, die jemals dort aufgetreten ist. Klar, dass es da nicht um Feinheiten bei irgendwelchen Beethoven-Sonaten ging. Das hat sich in den Jahren ziemlich verändert. Mittlerweile werden auch Einführungen gegeben, wie man sich im Konzert verhält. Dass man nicht essen oder reden soll. Oder auch zum Klatschen. Die Chinesen klatschen normalerweise kaum. Man kann froh sein, wenn man das Ende der Bühne erreicht hat, bevor es aufhört.

In Städten wie Shanghai gibt es keinen Unterschied zu Europa. Dort könnte man eine Stecknadel fallen hören. Schön finde ich, dass die Chinesen gern Kinder ins Konzert mitnehmen. Ich habe auch eine große Tournee speziell für Kinder gegeben, als Sommerprogramm. Ich finde, man muss in anderen Ländern toleranter sein. Auch bei uns könnte es etwas lockerer zugehen. Wir sperren die klassische Musik in einen Elfenbeinturm, dafür ist sie doch gar nicht komponiert worden. Als die Musik, die wir jetzt spielen, komponiert wurde, wurde nicht zwischen Unterhaltungsmusik und ernster Musik unterschieden. Oder dass zwischen den Sätzen nicht geklatscht werden darf. Wenn sich nach einem fetzigen ersten Satz die Begeisterung der Leute Bahn bricht – wo ist das Problem?

Wie entdeckst du die chinesischen Komponisten und woher bekommst du die Noten?

Am Anfang war es sehr schwierig. Meine chinesische Agentur hat mir Noten geschickt, und wenn ich die verlegt hatte, war das katastrophal. Auf meiner ersten Tour ist mir – zum Glück beim letzten Konzert – meine Zugabe geklaut worden! Da war es schwierig, die Noten im Internet wiederzufinden. Auch als ich für die CD recherchiert habe, war es schwer. Ich habe vor Ort einen berühmten Notenband gekauft. Das war die Basis, mit der ich die Komponisten kennengelernt habe. Den Rest habe ich im Internet besorgt. In letzter Zeit wird es einfacher. Es gibt eine tolle Edition zu hundert Jahren chinesischer Klaviermusik in zehn Bänden. Diese Stücke sind nicht nur auf Volksliedbasis. Es gibt einen Band zu Opern und Balletten, Suiten und Variationen und andere, modernere Musik. Komischerweise können mir meine chinesischen Kollegen in Deutschland mit dem Thema kaum weiterhelfen. Sie interessieren sich mehr für das deutsche Kernrepertoire.

Wie ist der Schwierigkeitsgrad? Sind Stücke darunter, die für Hobbypianisten machbar sind?

Natürlich. Den „Kangding Love Song“ auf meiner CD kann beispielsweise jeder ambitionierte Amateur spielen. Es gibt verschiedene Levels. Die Notenbeschaffung ist die größere Hürde, weil es über den lokalen Musikalienhandel noch nicht so einfach ist. Ein Band, der leicht erhältlich ist, ist 30 Famous Pieces of Chinese Piano Music, herausgegeben von Wei Tingge. Den gibt es u.a. als Google e-Book oder bei Amazon für den Kindle.

Was sind deine aktuellen Projekte – ist die nächste chinesische CD schon geplant?

Ich habe viele Konzepte für CDs im Kopf. Es wird auch chinesische Musik dabei sein, die ich aber in ein großes Oberthema integrieren werde. Ich spiele die Chinese Dreams sehr gern, aber zu Corona-Zeiten ist es noch schwieriger, mit einem ungewöhnlichen Programm ein Konzertpublikum anzulocken.

Im September startet meine Virtual Piano Academy, das sind virtuelle Meisterkurse für Nachwuchs-Pianisten und fortgeschrittenere Amateure. Das erste Thema wird „Boost your practice“ sein. Da geht es um kluge Übestrategien: Wie kann ich meine Übezeit besser strukturieren und mein Üben auf eine andere Stufe bringen, damit ich schneller und effizienter zum Ziel komme? Das ist das Fundament von allem. Die Workshops und die Meisterkurse finden live gemeinsam in der Gruppe statt, dann haben die Teilnehmer jeweils eine Stunde Einzelunterricht bei mir. Es wird auch eine Facebook-Gruppe zum Austausch geben. Und einen Gastvortrag zu EFT, einer Klopfakupressur, mit der man Blockaden auflösen kann. Das hilft zum Beispiel bei Lampenfieber.

Klangbeispiele der CD „Chinese Dreams“ von Lydia Maria Bader sind auf ihrer Website zu hören. Dort gibt es auch Fotoalben mit Impressionen von ihren Tourneereisen in China.

Infos zur ersten Virtual Piano Academy „Boost your practice“ vom 7. – 25. September 2020 gibt es hier.

(Foto: ©Kaupo Kikkas)