Musikunterricht online I: Notlösung oder Chance?

Vieles verlagert sich momentan in den virtuellen Raum – so auch der Musikunterricht. Einige MusiklehrerInnen haben auch früher schon per Videochat unterrichtet, doch für die meisten ist dieses Medium neu und ungewohnt. Nach einigen Wochen im Ausnahmezustand hat MUSEDU einen Schlagzeuger, eine Saxophonistin, eine Sängerin und eine Pianistin zu ihren bisherigen Erfahrungen mit Online-Unterricht befragt.

Zunächst stellt sich die Frage: Welches Tool eignet sich für Online-Musikunterricht? Die befragten Lehrkräfte haben vor allem die gängigen Plattformen Zoom, Skype, WhatsApp und Facebook Videochat getestet. Weitere Plattformen wie doozzoo finden sich auf dieser Liste von mica – music austria. Bei Bedenken zur Datensicherheit kann es sich lohnen, auch freie Software wie Jitsi Meet auszuprobieren. Eine Liste mit weiteren freien Tools findet man hier.

Schlagzeuglehrer Michael Seyfried meint: „Als Lehrer muss man anpassungsfähig sein, da die meisten Eltern sich nicht zu intensiv damit beschäftigen und sich nicht auf einer neuen Plattform registrieren wollen. Wichtig ist, dass man sich vor der ersten Stunde etwas Zeit nimmt, um zu schauen ob man einander gut hören/sehen kann. Hier ist speziell beim Schlagzeug das Problem, dass die meisten Handy/Tablet-Mikros bei zu lautem Signal leiser schalten und man unmittelbar nach dem Spielen keine Stimme mehr hört. Ein Headset zu nutzen oder auch das Schlagzeug zu dämpfen ist eine Möglichkeit.“ Außerdem hat sich für Michaels Unterricht eine Gopro Breitwinkelkamera bewährt, auf der nicht nur seine Hände, sondern auch das Gesicht gut sichtbar sind.

Während der Schlagzeuger nach anfänglicher Skepsis vom Videounterricht positiv überrascht ist, äußert sich Pianistin Ulrike Danne-Feldmann frustriert: „Es waren keine Klavierklänge hörbar, sondern nur übersteuerte Töne. Ich konnte oft noch nicht einmal die genauen Töne hören, die der Schüler spielte. Besonders schlimm war es bei schnellen Passagen und bei dicht zusammenliegenden Tönen. Bei fortgeschrittenen Schülern gab es deshalb leider einen fürchterlichen Klangbrei.“ Das Equipment auf Schülerseite sei ein zusätzliches Problem: „Nicht alle haben einen Laptop oder Handy mit halbwegs gutem Mikrofon, die wenigsten haben ein externes Mikro.“ Ihre Experimente mit Lautsprechern, externen Mikrofonen und Headsets hätten keine grundlegende klangliche Verbesserung gebracht.

Saxophonistin Silke Gert findet Online-Unterricht besonders herausfordernd für diejenigen, die gerade erst mit dem Musizieren beginnen oder noch nicht lesen und schreiben können – auch wenn die Eltern sehr bemüht seien. Ihre Bilanz: „Je fortgeschrittener, desto einfacher.“ Für die Klavierlehrerin Ulrike Danne-Feldmann ist dagegen die differenzierte klangliche Arbeit und dazu nötige technische Umsetzung bei ihren fortgeschrittenen SchülerInnen nur live möglich: „Ich kann nur dann die richtigen Tipps zur Verbesserung geben, wenn ich ganz genau hören kann.“ Im Anfangsunterricht sei es einfacher: dort könne sie Übeschritte und bisherige Unterrichtsinhalte kontrollieren, musikalische Spiele erfinden oder Hausaufgaben per Mail schicken. So mache der Unterricht bei allen Kompromissen den Kindern weiterhin Spaß. Auch Silke Gert verschickt wöchentlich einen Plan mit Tipps fürs Musizieren zuhause und lässt sich Audio-und Videoaufnahmen zusenden.

Gesangsunterricht ist laut Sängerin Janne Kliegl online möglich, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Für sie sei es schwierig, den Klang der Stimme über Laptop oder Handy gut einzuschätzen. „Ich frage daher viel öfter danach, wie es sich für die SchülerInnen angefühlt hat. Melodie einstudieren funktioniert aber beispielsweise sehr gut, da ich ihnen Passagen vorspiele und sie singen nach – da kann ich auch die Intonation besser prüfen. Auch theoretische Inhalte sind gut zu vermitteln.“ Das Niveau mache für sie keinen Unterschied, allerdings unterrichte sie bisher nur Menschen, deren Stimme sie schon gut kennt. „Wenn jemand zum ersten Mal zu mir kommt, stelle ich es mir schwierig vor, die Stimme nur über den (meist schlechten) Mikroinput kennen zu lernen.“

Alle bedauern, dass wegen der Latenzzeit kein gemeinsames Musizieren, Singen – oder beim Schlagzeug ein aktives Mitspielen zur Musik – möglich ist. Dies ist sonst ein zentrales Element ihres Unterrichts. Möglicherweise sind hierfür spezielle Plattformen für Musik wie JamKazam oder Jammr geeignet, bei denen die Latenz gering und die Tonqualität besser sein soll – genaue Tests stehen jedoch noch aus. Hat Online-Musikunterricht auch Vorteile? Links zu Lehrvideos und Soundbeispielen direkt zu teilen oder HobbymusikerInnen anzuregen, sich selbst aufzunehmen ist damit besonders gut möglich. Nicht zu unterschätzen ist momentan auch die emotionale Komponente: über den Musikunterricht bleibt für viele „ein bisschen Alltag“ (Silke Gert) erhalten.

Einige der befragten Lehrkräfte halten die Online-Variante für eine Notlösung, andere können sich vorstellen, auch in Zukunft gelegentlich in den virtuellen Raum auszuweichen. Das Medium sei praktisch bei Abwesenheiten, zur besseren Zeiteinteilung oder für SchülerInnen, die weiter entfernt wohnen. Allerdings immer nur als Ergänzung zur essenziellen „sinnlichen Ebene“ (Ulrike Danne-Feldmann) des regulären Unterrichts. Es wird deutlich, dass sich alle – Lehrende und Lernende – darauf freuen, wieder Präsenzunterricht machen zu können. Silke Gert bringt es auf den Punkt: „Zum Glück kann kein digitales Medium den Musikunterricht, bei dem alle Beteiligten physisch anwesend sind, ersetzen.“