Der große Saal im Wiener Konzerthaus sieht anders aus als sonst. Die Stuhlreihen im Parterre sind verschwunden. Stattdessen stehen dort kleine Gruppen von Sesseln, dazwischen Papphocker und vereinzelt Instrumente. Ich besuche ein Konzert der besonderen Art: „Im Klang“, aufgeführt von den Wiener Symphonikern unter Gastdirigent Lahav Shani im März 2020. Der Clou dabei ist, dass das Publikum – auf den Papphockern – mitten unter den Orchestermusikern sitzen darf.
Ich betrete den Saal und muss mich entscheiden. Einmal die riesige Harfe direkt in Aktion erleben? Oder lieber die edlen Flöten aus der Nähe bewundern? Neben mir stehen zwei junge Männer und blicken sich um. „Hey, setzen wir uns dorthin, zu den coolen Vibrations“, sagt der eine und zeigt auf die Kontrabässe, die am Boden liegen. Gute Idee. Auch ich wähle einen der Papphocker neben den Bassisten. Von dort aus kann ich außerdem den Cellisten über die Schulter schauen.
Der Saal füllt sich. Um mich herum Stimmengewirr und Kinderlachen. Das Publikum ist deutlich jünger als sonst. Fast niemand sitzt bei den Pauken – dabei haben die Saaldiener vorsorglich Gehörschutz angeboten. Aber sonst sind alle Plätze gut besetzt. Die ersten Musiker kommen herein, stimmen ihre Instrumente, gehen einige Passagen nochmal durch. Die beiden Männer neben mir machen ein Selfie.
Auf dem Programm stehen die Symphonischen Tänze von Sergei Rachmaninoff, die sich mit ihrer großen Orchesterbesetzung gut für ein solches Klangerlebnis eignen. Zunächst aber erklärt Moderatorin Katja Frei, was dieses letzte und quasi autobiographische Orchesterwerk des Komponisten auszeichnet. So klingt darin unter anderem seine erste Sinfonie an, deren Misserfolg er jahrelang nicht überwinden konnte. Den Einfluss seiner Wahlheimat USA können wir am Saxophon erkennen, das man sonst selten in einem klassischen Orchester hört. Aber sonst erwartet uns an diesem Abend natürlich „russische Musik“.
Moderation und Klangbeispiele wechseln sich ab. Verschiedene Instrumentalisten führen uns das Motiv des fallenden Dreiklangs vor. Ein Hornist zeigt, wie er mit der Hand sein Instrument „stopft“ und damit die Klangfarbe verändert. Und wir lernen, dass im Schlagwerk diesmal auch ein Tamtam eingesetzt wird: Eine Art Gong, die aber – anders als ein Gong – keine bestimmte Tonhöhe hat.
Nach der Einführung können wir dann alle drei Sätze aus unserer ungewohnten Perspektive genießen. Ich bade im warmen Streicherklang, höre wie aus der Ferne die Bläser und das Klavier. Manches klingt leiser, oder kommt aus einer anderen Richtung als ich es gewohnt bin. Wenn ich die Augen nicht geschlossen habe, kann ich bei den Cellistinnen in den Noten mitlesen und sehen, was sie mit Bleistift darin angemerkt haben. Ich beobachte die ausgefeilten Streich- und Zupftechniken für Kontrabass und Cello und bin dabei nur wenige Zentimeter von den Profis entfernt. Schön, dass sie uns diese Einblicke ermöglichen.
Viel zu früh endet das Konzert und ich hätte gern noch bei anderen Instrumenten gesessen. Dafür muss ich wiederkommen. Zum Glück finden die „Im Klang“-Konzerte mehrmals im Jahr statt. Als ich den Saal verlasse, höre ich, wie ein Mädchen über die Saiten der Harfe streichen darf. „Wenn ich Kinder hätte, würde ich mit ihnen hierher kommen“, hat mein Sitznachbar zwischendurch gesagt. Ganz bestimmt! Aber auch für mich als erwachsene Hobbymusikerin war dieser Abend ein besonderes Klangerlebnis.
(Foto: Rupert Steiner)